Endlich Urlaub – und kein bisschen entspannt?

Ferienzeit … endlich zur Ruhe kommen …

Ich weiß nicht, wie es Ihnen / Euch geht, ich habe mich auf die Sommerferien meiner Kinder so sehr gefreut. Endlich wird es ruhiger, endlich mal keine Termine, endlich mal ein paar Sachen aufarbeiten, die zu Hause liegen geblieben sind.

Aber leider geht es mir wie fast jedes Mal, wenn ich in den Urlaub starte:  Ich komme einfach nicht runter. Eigentlich will ich mich ausruhen, aber da sind all die Dinge, zu denen ich sonst nicht gekommen bin, die genau auf diesen Moment gewartet haben und endlich abgearbeitet werden wollen. Mein Kopf steht einfach nicht still. Gedanken zu den letzten Wochen kreisen um mich und der innere Treiber, der einerseits ständig behauptet, dass ich mich doch nicht ausruhen kann, wo noch so viele Dinge erledigt werden sollten, andererseits mir aber auch Druck in Richtung Entspannung macht, denn auch das sollte jetzt „erledigt“ werden… in den letzten Jahren habe ich fast eine ganze Woche gebraucht, um überhaupt nur annähernd in einen Zustand von „Es ist mir egal“ zu kommen.

Und damit bin ich nicht alleine: Gerade in der von Veränderungen getriebenen Finanzdienstleistungsindustrie, aber auch in anderen Branchen, erlebe ich tagtäglich, dass immer weniger Mitarbeiter und Führungskräfte es schaffen, einfach so abzuschalten. Die Folge: viele Krankheitstage, vor allem mit psychischem Hintergrund und auch Fluktuation bzw. die Flucht, die vermeintlich Besserung bringt … Die Leute sind einfach fertig!

Aber warum ist das so? Warum bekommen wir die Kurve nicht mehr in Richtung Entspannung, können nicht einfach mal loslassen von all den To do’s und aufhören mit dem permanenten Druck perfekt sein zu wollen?

Nach vielen Jahren eigener Erfahrung und auch die Erfahrungen aus der Begleitung von Führungskräften, bin ich auf eine wesentliche Ursache gestoßen: Wir leben permanent in zwei Welten!

Was meine ich damit?

Viele von uns sind groß geworden mit Eltern der „alten Welt“, einer Welt, in der viele um 16 Uhr zu Hause waren, in der es deutlich weniger Stress und Leistungsdruck gab. Soziale Medien und ständige Erreichbarkeit waren einfach nicht vorhanden. Die Frauen waren oft bei den Kindern zu Hause, hatten die Zeit sich um Haus und Hof zu kümmern, während der Mann sich um das Haushaltseinkommen kümmerte. Eine Welt, in der jeder noch die Chance hatte, alles perfekt zu machen. Und auch noch die Energie am Abend hatte, diversen Freizeitbeschäftigungen nach zu gehen.

In der „neuen Welt“ sieht das aber ganz anders aus: Der Leistungsdruck ist enorm gestiegen. In so ziemlich jedem Beruf müssen die Menschen heute deutlich mehr leisten, als noch vor ein paar Jahren. Wo früher drei Mitarbeiter den Job erledigten, ist es heute gerade noch einer, von dem man die gleiche Arbeit in der gleichen Zeit und natürlich mit einer perfekten Qualität erwartet. Effizienz ist alles! Darüber hinaus wird von jedem sowohl im geschäftlichen als auch im privaten deutlich mehr Präsenz und Erreichbarkeit gefordert. Die sozialen Medien feuern genau das noch an. Und diese Liste ist noch lange nicht zu Ende … die Welt hat sich sehr verändert, mit einer Folge: wir schaffen es einfach nicht mehr, wie vielleicht unsere Eltern, alles perfekt hinzubekommen: Perfekt auf der Arbeit zu sein, Haus und Garten ständig in Ordnung zu haben, die Kinder optimal zu begleiten, sich in diversen Vereinen zu engagieren und dabei auch noch entspannt zu sein und gut auszusehen 🙂

Und genau hier kommt aus meiner Sicht das Problem:

Viele Menschen, die ich kenne – und mir geht es immer wieder ähnlich – haben, obwohl wir in dieser neuen Welt leben, den Anspruch der alten Welt. Wir wollen alles perfekt machen, uns dabei noch entspannt fühlen, obwohl wir in einer ganz anderen Welt leben! Dieser Erwartungsdruck, den wir uns selbst auferlegen, sorgt dafür, dass wir nicht zur Ruhe kommen, dass wir mit den Gedanken immer schon bei den nächsten „To dos“ sind, statt gelassen im Liegestuhl. Die innere Stimme, die nach wie vor für Perfektion in allen Bereichen sorgen möchte und sagt, dass wir nicht ok sind, wenn wir uns mal eine Auszeit gönnen.

Die Folge ist, dass wir Gefahr laufen unseren Fokus auf das, was wir wirklich erreichen wollen zu verlieren und uns schlichtweg einfach verzetteln.

Aber wie kommen wir daraus? Wie schaffen wir es, diesem ungesunden und lebensraubenden Verhalten zu entgehen?

Nun, aus meiner Sicht ist der erste wichtige Schritt, sich genau diesen Konflikt bewusst zu machen. Und das immer wieder, denn unser Unterbewusstsein denkt in alten Verhaltensmustern. Wir müssen das ganze aus der Entfernung betrachten und uns aus diesem Zustand ein paar entscheidende Fragen stellen:

Was will ich wirklich erreichen… im Leben, im Job, in der Partnerschaft, mit den Kindern?

Und passt das, was ich gerade jeden Tag tue zu dem, wo ich eigentlich hin will?

Geht es gerade nur um die Abarbeitung von To do’s im Sinne von Perfektionismus oder wirklich um Dinge, die mir wichtig sind?

In der heutigen Welt gilt es mehr denn je, einen klaren Fokus zu setzen, statt überall perfekt sein zu wollen. Einen Fokus darauf, was man wirklich erreichen möchte.

Gerade auch für Führungskräfte ist dieser Blickwinkel enorm wichtig, denn von ihren Treibern und Entscheidungen hängt der Erfolg eines ganzen Teams ab.

Für diese Gedanken braucht es nicht viel: einen ganz bewussten Moment mit Ruhe und einer klaren Absicht, jetzt nur für sich da zu sein …

Zum Beispiel mit einem Ritual. Für mich ist es die erste Tasse Kaffee ganz für mich alleine. Das ist mein Moment, in dem ich täglich auf all das draufschaue, für einen Moment loslasse und mir die entscheidenden Fragen stelle und mich so jeden Tag neu ausrichte…

Schaffe ich es damit ständig die „Ruhe im Sturm“ zu sein: Nein. Aber es ist ein Anfang und ich merke, dass ich durch einen klaren Fokus meine mir wichtigen Themen nicht aus den Augen verliere und auch deutlich leichter loslassen kann…

Ihnen / Euch allen eine wunderschöne Ferienzeit mit vielen glücklichen und entspannenden Momenten!

Andrea Maria Müller